Du sitzt im Halbdunkel, dein Baby an der Brust, und spürst diese vertraute Mischung aus Liebe und Erschöpfung. Deine Schultern sind verspannt, dein Kopf voller Gedanken an all das, was noch zu tun ist. Stillen sollte doch entspannend sein – aber manchmal fühlt es sich einfach nur anstrengend an. Die gute Nachricht: Mit ein paar einfachen Atemtechniken kannst du diese kostbaren Momente wirklich nutzen, um aufzutanken statt auszulaugen.
Warum Atemübungen beim Stillen so kraftvoll sind
Beim Stillen bist du bereits in einer ruhigen Position – der perfekte Moment, um bewusst zu atmen. Dein Körper schüttet Oxytocin aus, das "Kuschelhormon", das nicht nur den Milchfluss fördert, sondern auch Entspannung begünstigt. Wenn du diese natürliche Entspannungsreaktion mit gezielten Atemübungen kombinierst, verstärkst du den Effekt enorm.
Bewusstes Atmen aktiviert deinen Parasympathikus – den Teil deines Nervensystems, der für Ruhe und Regeneration zuständig ist. Das Schöne: Du brauchst keine spezielle Ausrüstung, keinen zusätzlichen Zeitaufwand und kannst die Übungen diskret überall durchführen.

1. Die beruhigende Bauchatmung – deine Basis für tiefe Entspannung
Diese Grundübung ist perfekt für Stillneulinge. Sie hilft dir, aus dem flachen Brustatmen (das oft mit Stress einhergeht) in eine tiefe, beruhigende Atmung zu wechseln.
So geht's:
- Lege eine Hand sanft auf deinen Bauch, die andere auf deine Brust
- Atme tief durch die Nase ein und spüre, wie sich dein Bauch unter deiner Hand hebt – die Hand auf der Brust bleibt möglichst ruhig
- Atme langsam durch den Mund aus und spüre, wie sich dein Bauch wieder senkt
- Wiederhole dies 5-8 Mal in deinem eigenen Rhythmus
Diese Übung erdet dich im Moment und signalisiert deinem Körper: "Alles ist gut, wir können entspannen." Viele Mütter berichten, dass ihr Baby ruhiger wird, wenn sie selbst ruhiger atmen – eine wunderbare Synchronisation.
2. Die 4-7-8-Atmung – schnelle Hilfe bei Anspannung
Wenn du merkst, dass deine Gedanken kreisen oder deine Schultern hochgezogen sind, ist diese Technik deine Rettung. Sie wurde von Dr. Andrew Weil entwickelt und wirkt wie ein natürliches Beruhigungsmittel.
So funktioniert's:
- Atme vollständig durch den Mund aus
- Schließe den Mund und atme ruhig durch die Nase ein, während du bis 4 zählst
- Halte den Atem an und zähle bis 7
- Atme durch den Mund aus und zähle dabei bis 8
- Wiederhole den Zyklus 3-4 Mal
Das längere Ausatmen ist der Schlüssel: Es aktiviert deinen Vagusnerv, der direkt mit deinem Entspannungssystem verbunden ist. Nach nur wenigen Durchgängen spürst du oft schon eine deutliche Beruhigung.

3. Das heilsame Tönen – Entspannung durch Klang
Diese Übung mag sich anfangs ungewohnt anfühlen, aber sie ist unglaublich wirksam. Das Tönen kombiniert Atmung mit sanften Vibrationen, die deinen ganzen Körper durchströmen.
Die Anleitung:
- Atme tief durch die Nase ein
- Lass die Luft mit einem langen "Ahhh" oder "Ohhh" durch den geöffneten Mund entweichen
- Spüre die Vibration in deinem Brustkorb
- Experimentiere mit verschiedenen Tönen und finde deinen Lieblingston
- Wiederhole 5-6 Mal
Das Schöne am Tönen: Es hilft dir, einen ruhigen Atemrhythmus zu finden, und die Vibration wirkt wie eine sanfte innere Massage. Manche Babys reagieren fasziniert auf die Töne und werden dadurch selbst ruhiger.
4. Die gleichmäßige Pendel-Atmung – Balance für Körper und Geist
Diese Technik schafft Harmonie durch Gleichgewicht. Wenn Einatmen und Ausatmen gleich lang sind, bringst du dein Nervensystem in eine ausgeglichene Balance.
Schritt für Schritt:
- Atme durch die Nase ein und zähle dabei langsam bis 4
- Atme durch den Mund aus und zähle ebenfalls bis 4
- Mache eine kurze natürliche Pause
- Wiederhole den Rhythmus 6-8 Mal
- Wenn sich 4 Sekunden angenehm anfühlen, kannst du auf 5 oder 6 Sekunden steigern
Diese Gleichmäßigkeit wirkt wie ein Anker in stürmischen Momenten. Sie ist besonders hilfreich, wenn du dich überfordert fühlst oder Schwierigkeiten hast, abzuschalten.

5. Die Kraft-Atem-Pause – bewusst auftanken zwischen den Anforderungen
Diese Übung ist inspiriert von Techniken aus der Geburtsvorbereitung und nutzt die natürlichen Pausen – in diesem Fall zwischen den Stillmahlzeiten oder wenn dein Baby gerade friedlich trinkt.
So tankst du auf:
- Atme ruhig durch die Nase ein und runde dabei bewusst deinen Bauch
- Halte die Luft sanft für 3-5 Sekunden an (nicht pressen!)
- Atme langsam über 3-5 Sekunden aus und ziehe dabei den Bauch leicht ein
- Halte den Atem erneut für 3-5 Sekunden an
- Wiederhole diesen Zyklus 4-5 Mal
Konzentriere dich dabei wirklich auf diese Momente des Innehaltens. Statt an die nächste Aufgabe zu denken, nutze diese Pausen bewusst, um Kraft zu schöpfen. Viele Mütter beschreiben, dass sie sich nach dieser Übung erfrischt fühlen – fast wie nach einem Powernap.

Wie du die Übungen in deinen Still-Alltag integrierst
Der Schlüssel liegt nicht darin, alle Übungen perfekt zu beherrschen, sondern eine oder zwei zu finden, die sich für dich richtig anfühlen. Hier ein paar praktische Tipps:
Für den Einstieg: Beginne mit der Bauchatmung. Sie ist am intuitivsten und bildet die Basis für alle anderen Techniken. Übe sie ein paar Tage, bevor du weitere Übungen hinzunimmst.
Für akute Anspannung: Die 4-7-8-Atmung wirkt am schnellsten. Merke sie dir für Momente, in denen du gestresst bist oder nicht einschlafen kannst.
Für tiefe Entspannung: Das Tönen und die Kraft-Atem-Pause sind ideal, wenn du wirklich Zeit hast, dich fallen zu lassen – vielleicht beim letzten Stillen am Abend.
Für Balance im Alltag: Die Pendel-Atmung kannst du überall einsetzen – beim Stillen, beim Warten an der Kasse, im Auto vor der Haustür.

Häufige Fragen zu Atemübungen beim Stillen
Kann ich die Übungen auch machen, wenn mein Baby unruhig ist? Absolut! Tatsächlich können die Übungen helfen, dein Baby zu beruhigen. Babys spüren deine Anspannung und reagieren auf deine Entspannung. Viele Mütter berichten, dass ihr Baby ruhiger wird, wenn sie selbst bewusst atmen.
Wie oft sollte ich die Übungen machen? Es gibt kein "Muss". Schon 2-3 bewusste Atemzüge können einen Unterschied machen. Ideal ist es, wenn du dir bei jeder Stillmahlzeit ein paar Minuten Zeit nimmst – aber ohne Druck. Selbst einmal am Tag ist wertvoll.
Was, wenn ich mich dabei komisch fühle? Das ist völlig normal! Bewusstes Atmen fühlt sich anfangs oft ungewohnt an. Beginne mit der einfachsten Übung (Bauchatmung) und gib dir Zeit. Die meisten Mütter gewöhnen sich innerhalb weniger Tage daran.
Können die Übungen beim Milcheinschuss helfen? Ja! Entspannung fördert die Oxytocin-Ausschüttung, was den Milchspendereflex unterstützt. Viele Stillberaterinnen empfehlen Atemübungen genau aus diesem Grund.
Darf ich die Übungen auch in der Schwangerschaft machen? Die meisten dieser Techniken sind auch in der Schwangerschaft sicher und sogar empfehlenswert. Sie bereiten dich auf die Geburt vor und helfen bei Schwangerschaftsbeschwerden. Nur beim Luftanhalten solltest du vorsichtig sein – halte nie so lange an, dass es unangenehm wird.
Dein Atem, deine Kraftquelle
Stillen ist eine der intensivsten Phasen deines Lebens – körperlich, emotional und zeitlich. In all dem Trubel vergessen wir oft, dass wir selbst auch Nahrung brauchen: Momente der Ruhe, des Durchatmens, des Bei-sich-Seins.
Diese fünf Atemübungen sind keine weitere To-Do-Liste, sondern eine Einladung. Eine Einladung, die Stillpausen wirklich als Pausen zu erleben. Als kleine Oasen in deinem Tag, in denen du nicht nur dein Baby nährst, sondern auch dich selbst.
Probiere aus, was sich gut anfühlt. Sei geduldig mit dir. Und erinnere dich daran: Jeder bewusste Atemzug ist ein Geschenk an dich selbst – und damit auch an dein Baby. Denn eine entspannte, aufgetankte Mama ist das Wertvollste, was du deinem Kind geben kannst.
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